Der alte Mann und der Stein

Martin Herrenknecht ist der wichtigste Tunnelbauer des Globus. Heute vollendet seine Riesen-Bohrmaschine den 57 Kilometer langen Gotthard-Tunnel in der Schweiz – Weltrekord

Den Acker pflügen, nach Erz graben, Werkzeuge schmieden. Menschliche Arbeit im ursprünglichen Sinne ist harter und schmutziger Kampf mit der Natur. Von diesen elementaren Tätigkeiten scheint unser modernes Leben in Büros, Flugzeugen und Clubs Jahrmillionen entfernt. Dass das brutale Ringen mit Berg und Stein trotzdem die Basis von sehr vielem ist, weiß Martin Herrenknecht.

Der 68jährige Unternehmer mit dem weissgrauen Haarkranz und der breiten, gedrungenen Statur baut gigantische Bohrmaschinen. Aus den Werkhallen im Ort Schwanau in der südwestdeutschen Rheinebene stammen die Kolosse, die den Straßentunnel unter der Elbe in Hamburg, Verkehrsröhren in Kuala Lumpur und Metro-Schächte in Shanghai erschlossen haben. Seit 2002 fressen sich Herrenknecht-Maschinen durch das Gotthard-Massiv der Schweizer Alpen. Insgesamt 57 Kilometer Fels – heute (Freitag, 15.10.10) gegen 14.00 Uhr wird das letzte Stück der Röhre beim Ort Sedrun durchbrochen. Rekord – der längste Eisenbahntunnel der Welt.

„Weicheier kannst Du da nicht ranlassen“, sagt Herrenknecht. „Weicheier“ – dieses Wort benutzt der Chef gerne und oft. Es ist eine Botschaft: Herrenknecht kommt überall durch. „Es ist faszinierend, Maschinen zu bauen, die jede Widrigkeit überwinden“, sagt der Mann mit den hellen, schmalen Augen. Früher, als Tunnel noch vornehmlich mit Sprengstoff, Spitzhacke und Presslufthammer gebaut wurden, rechnete man mit jeweils einem Toten pro gegrabenem Kilometer. Aber auch heute ist die Arbeit tief unter der Erde gefährlich. „Jeden Tag kann etwas passieren“, so Herrenknecht. Zu den Arbeitern, die dort unten schuften, fühlt er sich hingezogen: „Das sind zupackende, ehrliche Typen. Auf die kannst du dich verlassen“.

Die Bohrung durch die Bergkette des Gotthard war Herrenknechts bislang kompliziertestes Vorhaben. An manchen Stellen drückten 500 Meter hohe Berge auf Bohrmaschine und Tunnel. Eine 440 Meter lange Fabrik auf Stelzen und Schienen drängte sich durch den Fels. Vorn zermalmte der rotierende Bohrkopf Granit und Gneis zu handgroßen Brocken, direkt dahinter sicherte die Maschine die rohe Tunnelwand mit Stahlankern, brachte Metallmatten und Verstrebungen an, spritzte Beton. Hinter dem Koloss liegt nun der grob ausgebaute Tunnel, in den die Bahntechniker alles Weitere einfügen.

2017 soll die neue „Eisenbahn-Alpentransversale“ eröffnet werden. Sie wird nicht nur die Fahrtzeit zwischen Zürich im Norden und Bellinzona im Süden von 2,5 Stunden auf etwas mehr als 1,5 verkürzen, sondern soll die Schweiz auch teilweise vor den stinkenden Container-Lastern bewahren, die sich heute in nicht abreißender Kolonne durch die Dörfer quälen.

Der größte Bohrer, den Herrenknecht bisher baute, hat einen Durchmesser von mehr als 15 Metern. Das entspricht der Höhe eines Wohnhauses mit vier Stockwerken. Dieses Ungetüm rotiert. Vorne sitzt eine riesige Platte, „Schild“ genannt. Sie ist bewehrt mit stählernen Zähnen und Klauen. In die Zwischenräume haben die Herrenknecht-Monteure eine Art Panzerung geschweißt, damit der Schild unter dem Druck nicht zerbricht. Das Ganze sieht aus wie die fürchterliche Waffe einer außerirdischen Art, die gekommen ist, um die Erde zu vernichten. Dieses Monster frisst sich in den Berg. Kein Stein hält ihm stand.

In der Fachsprache der Ingenieure heißen diese Giganten „Tunnelvortriebsmaschinen“. Es gibt sie in unterschiedlichen Größen. „Über die kleinen schreibt niemand“, sagt Achim Kühn, der Pressesprecher des Unternehmens. Sie bohren Tunnel für Gas-, Wasser-, Elektro- und Kommunikationsleitungen – oft ferngesteuert und unspektakulär. Die großen Apparate dagegen schaffen Röhren, die Platz bieten für zwei nebeneinanderliegende U-Bahn-Gleise, Trassen für Hochgeschwindigkeitszüge und Autobahnen. Die kosten Dutzende Millionen Euro pro Stück.

Eigentlich lebt Martin Herrenknecht für seine Firma. Doch irgendwann merkte er: Immer nur Steine klopfen, ist auch langweilig. Das Unternehmen wurde ihm zu eng. In seinem Kopf setzte sich eine Idee fest: Von der Bearbeitung der Materie wollte er aufsteigen in höhere Sphären. In der CDU versuchte er, einen Wahlkreis für den Bundestag zu erobern.

Herrenknecht meint, dass einiges schiefläuft in Deutschland. Ihn stört die „Technikfeindlichkeit der 1968er“, der politischen Generation des ehemaligen grünen Außenministers Joschka Fischer. Im Bundesparlament hätte er sich dafür eingesetzt, die Forscher zu unterstützen, die Ingenieure, die Erfinder und ihre Firmen. Er meint, dass Deutschland mehr in seine Jugend investieren müsse, mehr Geld ausgeben solle für bessere Schulen und Universitäten.

Mit der Politik aber hat es nicht geklappt. Selbst Lothar Späth, ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg und Aufsichtsrat der Tunnelfirma, schätzt Martin Herrenknecht zwar als Unternehmer, aber nicht als Politiker. „Ich werde alles dafür tun, dass Du nicht in den Bundestag einziehst“, soll Späth Herrenknecht einst klargemacht haben. So ging Herrenknecht in der Parteiversammlung leer aus, die Mehrheit blieb ihm versagt.

Zurück von der Reise in die Politik, wird Herrenknecht seine Firma schließlich an seinen Sohn weitergeben. An harter Arbeit herrscht grundsätzlich kein Mangel. Solange die Weltbevölkerung wächst und immer mehr Menschen in Städten leben, wird der Bedarf zunehmen, in den Untergrund auszuweichen.

Info-Kasten

Herrenknecht AG in Zahlen

Das Unternehmen erwirtschaftete 2009 einen Umsatz von 866 Millionen (2008: 926 Mio.). Die Zahl der Beschäftigten stieg auf durchschnittlich 3.165 (2008: 2.915).