Hungerpolitik scheitert an Geldmangel

Die reichen Staaten halten ihre finanziellen Zusagen zur Verringerung der weltweiten Armut nicht ein. Minister Niebel wehrt sich gegen Steuer, die seine Beamten beim Millenniumgipfel in New York propagieren

Organisationen haben ein erhebliches Beharrungsvermögen. Sie machen einfach weiter, selbst wenn der Chef was Anderes will. Das erlebt in diesen Tagen auch Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP). Beim Armutsgipfel der Vereinten Nationen in New York ab Montag kommender Woche wird eine weitreichende Idee präsentiert, an der auch Beamte aus Niebels Ministerium mitgearbeitet haben. 60 Staaten, darunter Frankreich, schlagen vor, eine internationale Steuer auf Devisentransaktionen einzuführen, die 30 Milliarden Euro jährlich zur Bekämpfung der Armut erbringen könnte.

Solche Ideen findet Niebel eigentlich völlig unliberal. Auf die deutsche Unterstützung für die Steuerinitiative angesprochen, geben sich seine Sprecher ziemlich zurückhaltend. Aber Niebel ist erst seit zehn Monaten im Amt, die Steuer zur Entwicklungsfinanzierung hingegen schon seit Jahren in Vorbereitung. Und selbst Niebels Koalitionspartner in Berlin, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), hat zwei Milliarden Euro aus einer internationalen Finanzsteuer bereits in seine Haushaltsplanung aufgenommen.

Dabei wäre es dringend geboten, neue Mittel zur Finanzierung der internationalen Politik zu generieren. Das wird der Gipfel in New York wieder einmal belegen. Zwar kann es den Vereinten Nationen tatsächlich gelingen, ihr großes Ziel zu erreichen, die Armut auf der Welt bis 2015 zu halbieren. Aber andere Ziele der Millennium-Erklärung aus dem Jahr 2000 werden vermutlich verfehlt. Vor allem erscheint es wenig realistisch, die Zahl der Hungernden bis 2015 gegenüber 1990 auf die Hälfte zu reduzieren.

Ein Grund für die teilweise Stagnation bei den Millenniumzielen liegt darin, dass Geld fehlt. Die reichen Länder haben ihre finanziellen Versprechen nicht eingehalten. So kündigten die acht wichtigsten Wirtschaftsnationen bei ihrem Gipfel in Gleneagles 2005 an, ihre Entwicklungshilfezahlungen um 50 Milliarden Dollar bis 2010 zu erhöhen. Bislang sind davon aber erst rund 30 Milliarden umgesetzt.

Auch Deutschland hält seine Zusagen für die Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) nicht ein. Die Mittel stiegen in den vergangenen Jahren zwar an, bleiben aber unter dem Anteil von 0,51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, der bis 2010 eigentlich erreicht sein sollte. Und auch für die kommenden Jahre sehe es schlecht aus, sagt Eckhard Deutscher, der Vorsitzende des Entwicklungsausschusses der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) in Paris: "Für Deutschland ist es in den kommenden Jahren unmöglich, die ODA-Quote von 0,7 Prozent zu erreichen. Dafür müsste der Entwicklungsetat um etwa eine Milliarde Euro jährlich zulegen." Dies aber ist in der Haushaltsplanung für den Bundesetat nicht vorgesehen — stattdessen sollen die Mittel ab 2012 zurückgehen.

Die reichen Staaten sparen, unter anderem wegen der Finanzkrise und der zunehmenden öffentlichen Verschuldung. Vor diesem Hintergrund vertreten sowohl Minister Niebel, als auch seine Kritiker eine ähnliche Position. "Um die Zusagen für die höhere Entwicklungshilfe einzuhalten, muss man innovative Finanzierungsinstrumente entwickeln", sagt etwa Tobias Hauschild von der Entwicklungsorganisation Oxfam.

Welche neuen Instrumente aber könnten das sein? Frankreich beispielsweise erhebt eine Abgabe auf Flugtickets und verwendet Einnahmen daraus für seine Entwicklungspolitik. Auch in Deutschland will Finanzminister Schäuble ab 2011 eine Milliarde jährlich mittels der neuen Luftverkehrsabgabe einnehmen. Diese Mittel fließen allerdings in den Gesamthaushalt und stehen nicht speziell der Entwicklungspolitik zur Verfügung.

Ebensowenig kommen offenbar die zusätzlichen Milliarden in Betracht, die der Emissionshandel in einigen Jahren erbringen wird. Niebel hat zwar ein Auge darauf geworfen, aber sein Umweltkollege Norbert Röttgen (CDU) war schneller. Dieser hat von Schäuble bereits die Zusage erhalten, das Klima-Geld für den Ausbau der erneuerbaren Energien verwenden zu können.

Unter dem Strich sieht die Lage so aus: Die reichen Staaten, Deutschland eingeschlossen, geben zu wenig Geld für die Einhaltung der Millennium-Ziele aus. Eine belastbare Idee, wie dies zu ändern sei, hat aber auch der zuständige Minister Dirk Niebel nicht. Vielleicht helfen ihm seine Beamten und die französische Regierung, indem sie das Projekt der internationalen Finanzsteuer in New York voranbringen. Aber auch dann müsste sich Niebel noch bei Schäuble durchsetzen. Denn der Finanzminister plant, auch diese Einnahmen in den Gesamthaushalt zu leiten und eben nicht der Entwicklungshilfe zu widmen.