Umweltverbände kritisieren den mangelnden Einfluss der Bürger beim Ausbau der neuen Überlandleitungen. Gesetz zur schnellen Planung am Donnerstag im Bundestag
Hundert oder mehr Bürgerinitiativen protestieren schon heute bundesweit gegen den Bau von Windparks. Viele Gruppen werden hinzukommen, wenn erst die Planung der neuen Stromleitungen beginnt. Ohne massive Bürgerproteste wird die Wende zur regenerativen Stromerzeugung wohl nicht ablaufen. Und doch tut die Bundesregierung wenig, um für mehr Akzeptanz zu sorgen. Im Gegenteil: Heute (Donnerstag) verabschiedet der Bundestag das „Gesetz zur Beschleunigung des Netzausbaus“.
Das Gesetz – im Fachjargon „Nabeg“ – ist Teil des Paketes, mit dem die schwarz-gelbe Koalition den Atomausstieg und die Energiewende vollzieht. Zur Abstimmung stehen unter anderem die Stilllegung der Atomkraftwerke, die Förderung der erneuerbaren Energien und die klimafreundliche Sanierung von Gebäuden.
Die Kritik der Opposition und der Umweltverbände entzündet sich nicht zuletzt an Planung und Bau tausender Kilometer neuer Stromleitungen, die die Regierung möglichst schnell auf den Weg bringen will. Um Proteste und Fehler wie beim Bau des Bahnhofs Stuttgart 21 zu vermeiden, „sollte die Regierung neue Formen der Bürgerbeteiligung einführen“, sagt Michael Zschiesche vom Unabhängigen Institut für Umweltfragen (UfU). Davon steht im Gesetz aber kaum etwas.
Im Gegensatz zu heute wird es künftig ein neues, bundesweites Planungsverfahren für wichtige, überregionale Stromtrassen geben, das nicht mehr die Bundesländer organisieren, sondern die Bundnetzagentur. Die Bürger und die Verbände haben an drei Stellen die Möglichkeit, mit Einwendungen und Widersprüchen in das Verfahren einzugreifen. Auch alternative Trassen, die andere Wege Wege durchs Land nehmen, als von den Betreiberfirmen vorgeschlagen, sollen diskutiert werden.
Die Bundesregierung will die Beteiligung der Öffentlichkeit im Vergleich zu heute nicht einschränken, sondern leicht ausweiten. Das räumen Verbände wie der Bund für Umwelt und Naturschutz auch ein. Und doch geht ihnen die Bürgerbeteiligung nicht weit genug. Sie bemängeln unter anderem, dass für einen großen Teil des Verfahrens nur sechs Monate vorgesehen sind. „Angesichts der vermutlich großen Zahl der Einwendungen ist das kurz“, sagt Umweltjurist Zschiesche. Die Regierung müsse sicherstellen, dass die Einwendungen der Bürger nicht nur abgeheftet, sondern auch berücksichtigt würden. Zschiesche schlägt vor, einen offiziellen Bürger-Beirat zu gründen, der das Verfahren permanent begleitet.
Auch die Grünen hegen Zweifel, ob sich der zu erwartende massive Bürgerprotest in dem neuen, schnellen Verfahren ausreichend widerspiegelt. „Die Alternativen zu den vorgeschlagenen Trassen müssen im Rahmen der Bürgerbeteiligung ernsthaft diskutiert werden können,“ erklärt die grüne Demokratie-Expertin Ingrid Hönlinger aus Baden-Württemberg.
Um Akzeptanz für die Energiewende zu schaffen, hat der Wissenschaftliche Beirat für globale Umweltveränderungen (WBGU), der die Regierung berät, unlängst
„neue Partizipationsmöglichkeiten“ angeregt. Man solle die „Bürger nicht nur ein Mal nach ihrer Meinung fragen, sondern häufiger“, sagt WBGU-Mitglied Claus Leggewie. „Experten und Entscheider müssen dann immer wieder auf die Argumente der Bürger eingehen, und diese durchlaufen ihrerseits einen Lernprozess“, so Leggewie. Eine solche Bürgerbeteiligung neuer Art ist im Beschleunigungsgesetz nicht ansatzweise enthalten.