Kommentar zum Mindestlohn von Hannes Koch
Niedriglohnjobs sind eine Notlösung. Manche Firma kann nicht mehr zahlen. Manche Beschäftigte sind froh, überhaupt wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Deshalb ist es nicht ganz falsch, wenn Wirtschaftslobbyisten Fünf-Euro-Jobs als sinnvolle Maßnahme preisen. Aber die Billig-Stellen bedeuten auch eine zunehmende Gefahr.
Viele Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren daran gewöhnt, Arbeitnehmer immer günstiger zu bekommen. Wenn einer acht Euro pro Stunde erhielt, machte es der nächste schon für sieben – aus persönlicher Not, aus Unkenntnis seiner Rechte als Beschäftigter. Die Gewerkschaften, die früher noch Schutz boten, haben sich heute vielfach auf wenige Großbetriebe zurückgezogen. Und das erklärte Programm rot-grüner wie konservativer Politik war es während der vergangenen Jahrzehnte, den Arbeitsmarkt zu deregulieren. Motto: besser irgendeine Arbeit, als keine.
Damit aber erodiert das Sozialsystem. Wer fast nichts verdient, zahlt auch wenig Abgaben an die Krankenkasse und Rentenversicherung. Steuern erhält der Staat von Geringverdienern kaum noch. Im Ergebnis müssen die Normalverdiener die Ausfälle im Sozial- und Steuersystem ausgleichen und subventionieren damit die niedrigen Lohnkosten der Unternehmen.
Doch auch der gesellschaftliche Zusammenhalt insgesamt steht in Frage. Wer sieben Euro brutto pro Stunde erhält, hat im Monat vielleicht 800 Euro zur Verfügung – mit Vollzeitarbeit knapp über Sozialhilfe-Niveau. Das verhindert nicht nur, sich eine Familie und ein angenehmes Leben aufzubauen, das schafft auch jede Menge Enttäuschung. Die Zerstörungen in Pariser und Londoner Vorstädten sind auch Ergebnisse solcher Entwicklungen.
Wer so etwas in Deutschland verhindern will, muss die weitere Spaltung der Arbeit aufhalten. Ein gutes Mittel dazu ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Richtig gemacht, stellt er einen Kompromiss dar zwischen dem Verlangen vieler Unternehmen nach niedrigen Lohnkosten und dem Interesse der Allgemeinheit an sozialer Sicherheit. Niedrige Löhne bleiben auch mit Mindestlohn niedrig – sinken aber nicht weiter ab in Richtung Hungerlohn.