Nur wenn eine Vorsorgeverfügung vorliegt, dürfen Angehörige Entscheidungen für ein Familienmitglied treffen, das dazu selbst nicht mehr in der Lage ist
Bis zur blöden Wurzel im Stadtwald war das Leben noch ganz normal. Doch für den Jogger, der an der Kante stürzt und sich den Kopf aufschlägt, ändert sich in Sekunden das ganze Leben. So ein Unglück kann jedem passieren. Die Passantin wird vom Auto überfahren und verliert das Bewusstsein, dem Inlineskater wird die Treppe zum Verhängnis. Plötzlich sind die Betroffenen nicht mehr Herr ihrer selbst – nicht nur im medizinischen Sinne. Der Arzt muss nun über das Wohl des Patienten entscheiden, darf es aber nicht. Er benötigt die Einwilligung eines Bevollmächtigten und wendet sich deshalb an das Gericht. Liegt dort keine Vorsorgeverfügung vor, bestellen die Richter einen amtlichen Betreuer der fortan über die Angelegenheiten des Kranken entscheidet.
Die wenigsten Bürger sind für den Ernstfall gewappnet und haben ein entsprechendes Papier aufgesetzt. „Lediglich acht Prozent haben konkrete Schritte unternommen“, bedauert der Berliner und Dresdener Jurist Lutz Arnold die Situation in Deutschland. Die amtlichen Fürsorger verwalten die Finanzen und das Leben des Betroffenen. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass das Vermögen des Patienten erhalten bleibt. „Zu ihren ersten Aufgaben gehört es, eine Inventur im Hause des Betroffenen durchzuführen und die Vermögenswerte aufzulisten“, so der auf immaterielle Lebensvorsorge spezialisierte Rechtsanwalt. Richtet ein Fürsorger durch seine Arbeit einen Schaden an, kann dagegen fast nie geklagt werden. „Verkauft er zum Beispiel ein Grundstück unter Wert, anstelle für 80.000 Euro nur für 8.000 Euro, kann man nur dagegen vorgehen, wenn man selber eine Vollmacht hat“, sagt Arnold. Diese hätten jedoch die meisten Angehörigen gerade nicht.
Es ist ein Irrglaube, dass Angehörige automatisch als Entscheidungsträger einspringen, wenn jemand selbst dazu nicht mehr in der Lage ist. Sind rechtsverbindliche Erklärungen oder Entscheidungen gefordert, dürfen Ehegatten oder Kinder den Betroffenen nicht gesetzlich vertreten. Nur gegenüber minderjährigen
Sprösslingen haben Mutter und Vater ein umfassendes Sorgerecht und damit die Vertretungsbefugnis. Für einen Volljährigen können die Angehörigen nur in zwei Fällen entscheiden: entweder aufgrund einer Vorsorgevollmacht oder einer gerichtlichen Bestellung zum Betreuer.
Zum Betreuer wird ein Familienmitglied durch die so genannte Betreuungsverfügung. Sie regelt, wer über die rechtlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten des Kranken entscheiden soll und ist unverbindlich. Richter können das Dokument also ignorieren. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn eine nunmehr entscheidungsunfähige Mutter ihre Tochter als „Managerin“ für den Ernstfall bestimmt hat, diese aber weit entfernt lebt. Der Richter hat ein eigenes Ermessen und darf sich deshalb anstelle für den Sohn entscheiden, der in der Nähe des Krankenhauses wohnt.
Sowohl die am Gericht gelisteten Betreuer als die „Wunschfürsorger“ müssen sich vor dem Staat verantworten. In regelmäßigen Abständen werden die eingesetzten Betreuer überprüft. Diese Kontrollinstanz fehlt bei der Vorsorgevollmacht und macht sie dadurch zu einem sehr mächtigen Instrument. „Nur wer vollstes Vertrauen in die Person hat, die im Zweifelsfall bis an das Lebensende für einen entscheidet, sollte sich für diese Version der Vorsorgeverfügung entscheiden“, so Arnold. Andererseits zeichne sich das Schreiben durch seinen verbindlichen Charakter aus. Gerichte müssen die Vollmacht anerkennen und dürfen keine andere Person als festgelegt als Bevollmächtigten einsetzen.
Was nützten jedoch sämtliche Vorsorgevorkehrungen, wenn sie im entscheidenden Moment nicht gefunden werden. Das Justizministerium Baden-Württemberg rät dazu, das Dokument gebührenpflichtig im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer (Bundesnotarkammer, Zentrales Vorsorgeregister, Postfach 080151, 10001 Berlin; www.vorsorgeregister.de) registrieren zu lassen. In der Infobroschüre „Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung“ hält das Ministerium dazu Musterformulare parat. Das Heft kann im Internet unter www.jum.baden-wuerttemberg.de kostenlos herunter geladen oder bestellt werden. Anwalt Arnold empfiehlt stets ein kleines Kärtchen bei sich zu haben, auf dem vermerkt ist, wo die Verfügung oder die Vollmacht aufbewahrt wird. Ideal sei es, dieses hinter die Versichertenkarte der Krankenversicherung zu klemmen.
Expertenrat ist bei der Abfassung der Dokumente übrigens nicht zwingend erforderlich. Die Hilfe vom Rechtsanwalt oder vom Notar ist jedoch besonders dann zu empfehlen, wenn umfangreiches Vermögen vorhanden ist oder mehrere Bevollmächtigte einsetzt werden sollen.