Windstrom aus der Nordsee soll das Gas erzeugen
Im Zuge der Energiewende soll Wasserstoff das klassische Erdgas in der deutschen Industrie ablösen. Unklar ist noch, wer die nötigen Mengen liefern kann. Projekte sind unter anderem mit Kanada, Namibia und den Vereinigten Arabischen Emiraten beschlossen. Doch ein großer Lieferant liegt viel näher: Schottland, bisher für Öl- und Gasförderung bekannt.
„Wir werden mehr Strom erzeugen, als wir verbrauchen können“, sagt Gillian Martin, schottische Energieministerin. „Mit dem überschüssigen Strom produzieren wir grünen Wasserstoff. Und den können wir nach Deutschland liefern.“ Mit Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg und Nordrhein-Westfalen sowie der Bundesregierung sind bereits Abkommen unterzeichnet. Der Bedarf ist riesig, nach Zahlen der Deutschen Energieagentur Dena braucht Deutschland 2030 rund 66 Terawattstunden Wasserstoff, ein Großteil muss importiert werden. Schottland könnte dann mehr als die Hälfte liefern.
Innerhalb Großbritanniens ist die Region weitgehend unabhängig, mit teils eigenen Gesetzen. So unterscheidet sich auch die Energiepolitik. Das Land will 2045 klimaneutral sein, lehnt Atomenergie und Fracking an Land ab und baut in großem Stil Windenergie aus. Denn Wind weht reichlich im hohen britischen Norden. Geplant sind zahlreiche feste und schwimmende Windparks mit mehr als 40 Gigawatt (GW) Leistung, vor allem vor der Ostküste und im Nordwesten. Windkraftanlagen mit drei GW Leistung liefern bereits Strom. An Land sind bereits gut zehn GW Leistung installiert. In Deutschland laufen nach Angaben des Windenergieverbands BWE zurzeit Windanlagen mit einer Leistung von insgesamt 63,5 GW.
Selbst wenn Schottland mit dem Windstrom noch Teile Englands versorgt, wird einiges übrigbleiben, dass in Wasserstoff umgewandelt werden soll. „Bereits heute wird Wasserstoff an zahlreichen Orten hergestellt, allerdings in kleinem Maßstab“, sagt Energieministerin Martin, etwa auf den nördlich des Festlands gelegenen Orkney-Inseln oder in Aberdeen, der Ölhauptstadt Schottlands. Mit Wasserstoff, so die Idee, kann das Land das Öl und Gasgeschäft ablösen. Die Quellen in der Nordsee, die Großbritannien Jahrzehnte lang Geld einbrachten, versiegen langsam. Die fossile Industrie bietet einen Vorteile: Offshore-Personal und Infrastruktur vor der Küste.
Transportiert werden solle der Wasserstoff zunächst per Schiff, sagt die Energieministerin. „Wir hoffen auf eine Pipeline, die von Schottland über Nordengland nach Deutschland verläuft.“ Denn Transport durch eine Leitung ist deutlich günstiger. Dann wäre der schottische Wasserstoff auch billiger als Gas etwa aus Kanada. Eine Studie im Auftrag des staatlichen Net Zero Technology Centers in Aberdeen schätzt, die Pipeline könnte rund 3,1 Milliarden Euro kosten. Endpunkt wäre Emden in Niedersachsen.
Projekte gibt es bereits: Hylion, gesteuert von MHP, eine Beratungsfirma aus dem Porsche-Konzern. Zu den Partnern gehören Siemens Energy, der Baukonzern Bilfinger und der Industriegase-Spezialist Messer Group. Bis die Pipeline fertig ist, soll der Wasserstoff mit besonderen Kühlcontainern per Lastwagen, Zug und Schiff transportiert werden. Als Umschlaghafen in Deutschland ist Duisburg vorgesehen. LH2Europe in Amsterdam, gegründet von ehemaligen Ölmanagern, plant, flüssigen Wasserstoff zunächst per Schiff nach Deutschland zu bringen.
Mit der Pipeline kann es noch dauern, wie auch Schottlands Energieministerin weiß. „Eine Pipeline kostet sehr viel Geld. Das kann kein Land allein stemmen“, sagt sie. „Wir sind aber jetzt zuversichtlicher als in den vergangenen Jahren, dass es vorangeht.“ Ein Problem aus Sicht der Schotten, die den Ausstieg Großbritanniens aus der EU für falsch hielten: Für Außenhandel ist die britische Regierung in London zuständig. Dort hat Labour nach Jahren die Konservativen abgelöst. Offenbar steigen die Chancen auf die Pipeline, weil die neue Regierung sich der EU annähert. „Es ist alles da“, sagt Martin mit Blick auf London und Brüssel. „Wir brauchen den politischen Willen zu handeln.“
Was auf ein anderes Problem im Zusammenhang mit Wasserstoff weist: Sehr viel ist Projekt, wenig ist tatsächlich umgesetzt. Das gilt für die deutsche Wasserstoffstrategie und die Pläne für ein tausende Kilometer langes Leitungsnetz durch die Bundesrepublik genauso wie für Schottlands Wasserstoffziele. „Technologien sind da, der Markt muss sich entwickeln“, sagt die Energieministerin. Im Klartext: Theoretisch ist die Nachfrage hoch, theoretisch lässt sich Angebot schaffen. Aber viele warten ab. Zu hoch sind die Investitionssummen, die Risiken.
Abgesehen davon haben die Schotten große Konkurrenz. Deutschland hat bereits mit Namibia, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kanada über grünen Wasserstoff gesprochen. In Namibia und den Emiraten soll Strom aus Solarkraftwerken den grünen Wasserstoff erzeugen. An der kanadischen Westküste ist ein Windpark geplant.
Noch gibt es nur Absichtserklärungen, wie jene, die Deutschland, Italien und Österreich mit Algerien und Tunesien gerade geschlossen haben. In diesem Fall geht es um eine 3500 bis 4000 Kilometer lange Pipeline, mit der grüner Wasserstoff aus Nordafrika nach Süd- und Zentraleuropa fließen soll. Für die 3250 Kilometer des europäischen Teils sollen bestehende Gaspipelines umgerüstet werden. Derzeit bekommt Italien Erdgas aus Algerien durch die Transmed-Pipeline.