Genau und ungenau zur selben Zeit

Seit 30 Jahren warnt die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler vor zu hoher Staatsverschuldung.

Jedes Land hat seine Eigenheiten. In Frankreich herrscht in manchen Kreisen eine irrationale Freude am Linkssein. Die USA sind von außen betrachtet ein Land der Waffenfetischisten. Und die Deutschen haben große Angst vor Staatsschulden. So lässt es sich erklären, dass am Mittwoch ein einzigartiges Jubiläum begangen wurde: 30 Jahre Schuldenuhr.

Dieses Gerät ist eine Digitalanzeige des Bundes der Steuerzahler, das an einer Hausfassade im Berliner Regierungsviertel hängt. In großen roten Buchstaben zeigt sie den jeweils aktuellen Stand der deutschen Staatsschulden. Diese betragen gerade etwas mehr als 2,5 Billionen Euro (2.500 Milliarden), mit steigender Tendenz. Jede Sekunde kommen 2.800 Euro hinzu. Die Verschuldung pro Kopf der Bevölkerung hat rechnerisch 30.000 Euro erreicht.

„Die Uhr ist das schlechte Gewissen“ der Politik, erklärte Reiner Holznagel, der Chef der Organisation. Wobei er einräumte, dass Staatsschulden per se „weder gut noch schlecht“ seien. Grundsätzlich aber plädiert der Steuerzahlerbund immer für Zweierlei: möglichst niedrige Steuern und möglichst keine neuen Schulden. Weshalb Holznagel das gegenwärtige Programm der schwarz-roten Regierung mit absehbar einer Billion Euro zusätzlicher Kreditaufnahme in den kommenden Jahren als Horror betrachtet.

Fraglos ist 2.500 Milliarden eine gigantische Zahl, die aber so isoliert, wie sie da an der Fassade hängt, wenig über die wirtschaftliche Bedeutung von Staatsschulden aussagt. „Die Schuldenuhr ist an Einseitigkeit kaum zu überbieten“, bemerkte Carl Mühlbach. Er hat die Organisation FiscalFuture (finanzielle Zukunft) gegründet, die die finanziellen Interessen junger Leute in die Politik einbringen will. Den Schulden stünden „Staatsvermögen, etwa Straßen und Brücken“ als Basis künftigen Wohlstandes gegenüber, betonte Mühlbach. Wobei zur Wahrheit gehört, dass der deutsche Staat nicht jede Schulden-Milliarde in die Zukunft investiert. Vieles verraucht auch in Konsum – zum Beispiel über 100 Milliarden Euro jährlich für die Altersrenten aus den Kassen des Bundes.

Ein guter Maßstab für die Staatsverschuldung ist die Wirtschaftsleistung, das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Die Summe aller hierzulande produzierten Waren und Dienstleistungen beträgt etwa 4.500 Milliarden Euro jährlich. Im Verhältnis dazu sind 2.500 Milliarden Euro Schulden gut 60 Prozent – eine Größenordnung, die zahlreiche Fachleute für unproblematisch halten. Viele reiche Staaten liegen deutlich darüber, der Durchschnitt der Euroländern erreicht 87 Prozent. In dieser Sichtweise hat Deutschland einen Spielraum für zusätzliche Kreditaufnahme, den es jetzt nutzen will.

Richtig ist trotzdem: Schulden können auch zu hoch werden. Dann verlangen die Gläubiger steigende Zinsen, und die Kosten des Schuldenbergs nehmen zu. Solche Probleme haben derzeit Frankreich (113 Prozent Schuldenquote im Verhältnis zum BIP) und die USA (100 Prozent).

Falsch dagegen bleibt, dass Staatsschulden zurückgezahlt werden müssten. Beim größten Teil ist das auch in Deutschland nicht der Fall. Die alten Kredite werden einfach immer mit neuen Krediten beglichen. Das funktioniert so lange, wie die Wirtschaft wächst. Insofern lag Reiner Holznagel am Mittwoch daneben, als er eine große Torte mit der Aufschrift „2.500 Milliarden“ präsentierte und die Anwesenden einlud, die Schulden „aufzuessen“, also symbolisch abzuzahlen. Würde der Staat das tun, bekäme er ökonomische Magenschmerzen.