Schüler sollen Wirtschaft lernen

Ein neues Fach Ökonomie für alle allgemeinbildenden Schulen in Deutschland fordern Wissenschaftler und Wirtschaftsverbände

Inflation – was ist das? Diese Frage kann über die Hälfte der Jugendlichen nicht beantworten, wie eine Umfrage des Bankenverbandes unlängst ergab. Dementsprechend ist es für diese Schülerinnen und Schüler auch schwierig bis unmöglich, die Auswirkung der Geldentwertung auf ihre eigenes Leben zu beurteilen – beispielsweise die Kaufkraft, die ihre Rente in 40 Jahren einmal haben könnte.

Dass Nichtwissen in wirtschaftlichen Dingen nicht nur ein individuelles, sondern auch ein gesellschaftliches Problem darstelle, konnte Otto Kentzler am Mittwoch nicht oft genug betonen. Der Chef des Bundesverbandes des Handwerks (ZDH) plädierte dafür, die ökonomische Grundbildung systematisch in den Lehrplan der allgemeinbildenden Schulen einzubauen. Bislang würden Kenntnisse über die Wirtschaft an den Schulen nur „bruchstückhaft“ vermittelt, kritisierte Kentzler.

„Natürlich hätten wir gerne ein eigenständiges Fach Wirtschaft an den Schulen“, sagte Thomas Retzmann, Professor für Wirtschaftsdidaktik an der Universität Duisburg-Essen. Für den ZdH und weitere Wirtschaftsverbände haben Retzmann und seine Kollegen in zwei Gutachten ausgearbeitet, wie sich der Wirtschaftsunterricht und die entsprechende Lehrerausbildung verbessern ließen. Als zweiten Weg neben einem neuen Schulfach hält es Retzmann auch für möglich, die in den Gutachten definierten Bildungsstandards in bisherige Fächer wie Mathematik, Politik oder Englisch zu integrieren.

Die Wissenschaftler beschreiben Kompetenzen, die alle Schüler in Deutschland bis zum Abschluss der Grundschule, dem Hauptschulabschluss, der Mittleren Reife und dem Abitur erlernen sollten. Dazu gehöre es beispielsweise, die Wirtschaft aus vier Perspektiven betrachten und verstehen zu können – aus der des Verbrauchers, Arbeitnehmers, Unternehmers und Staatsbürgers, sagte ZDH-Chef Kentzler. Dem Handwerksverband ist vor allem daran gelegen, dass die Schüler bis zur Mittleren Reife einschätzen können, warum sie welchen Beruf wählen wollen.

Was die ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen betrifft, ist die aktuelle Lage sehr unterschiedlich. Schüler in Baden-Württemberg können ein regelmäßiges Fach Wirtschaft besuchen, in Nordrhein-Westfalen gibt es seit vergangenem August einen Pilotversuch mit 70 Schulen. In manchen anderen Bundesländern kommt Ökonomie dagegen nur am Rande vor. Um die Situation zu verbessern, schlagen Forscher und Wirtschaftsverbände nun vor, die Kultusministerkonferenz solle einheitliche nationale Bildungsstandards für den Wirtschaftsunterricht festlegen, an denen sich die Länder dann orientieren müssten.

Die Forderung der Wirtschaftsverbände nach mehr Ökonomie-Unterricht ist nicht neu. Ein Problem, dem dagegen die Bildungspolitiker gegenüberstehen: Die Lehrpläne sind voll, an den modernen Ganztagsschulen geht der Unterricht teilweise bis nachmittags um fünf Uhr, und die Schüler sollen den Abitur-Stoff in zwölf, statt früher dreizehn Jahren lernen. Wo da noch Platz sein soll für ein neues Schulfach, konnte auch Professor Retzmann am Mittwoch nicht beantworten.