Sparer leiden, Aktionäre feiern

Was die EZB-Zinssenkung bedeutet

Zum zweiten Mal binnen weniger Monate hat die Europäische Zentralbank (EZB) den zentralen Leitzins gesenkt. Angesichts der moderaten Inflation von 2,2 Prozent in der Euro-Zone sah sie die Chance dazu. Für Sparer, die Geld auf dem Tagesgeldkonto oder gar einem Sparbuch liegen haben, sind das eher schlechte Nachrichten. Wer Aktienfonds besitzt, profitiert hingegen.

Was hat die Europäische Zentralbank entschieden?

In der Euro-Zone sinkt der wichtigste Zinssatz, der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Notenbank Geld leihen können, um 0,6 Punkte auf 3,65 Prozent. Es ist die zweite Zinssenkung seit Juni 2024. Gleichzeitig sinkt der Zinssatz, zu dem Banken Geld bei der EZB parken können um 0,25 Punkte auf 3,5 Prozent. Die Entscheidung ist bemerkenswert, weil die US-Notenbank, die wichtigste Zentralbank der Welt, deutlich zögerlicher ist. Üblicherweise folgt die EZB den Amerikanern. Dieses Mal sind die Europäer diejenigen, die zuerst handeln. Mit einer Zinssenkung der Fed rechnen Experten in der kommenden Woche.

Warum senkt die EZB die Zinsen?

Die Zentralbank ist in der Euro-Zone für Preisstabilität zuständig. Die gilt bei einer Inflationsrate von nahe zwei Prozent. Den Wert hat die EZB festgelegt. Die Zentralbank kann die Preise nicht direkt beeinflussen, sondern nur dadurch, dass sie versucht, mehr oder weniger Geld im Umlauf zu halten. Über den Leitzins verteuert oder verbilligt sie Geld. Seit dem Ende der Corona-Pandemie und mit dem russischen Angriff auf die Ukraine verteuerten sich Waren und Dienstleistungen sehr stark. Die Inflationsrate stieg entsprechend kräftig, in der Spitze auf 10,6 Prozent im Oktober 2022. Seit Juli 2022 hatte die EZB den Leitzins in zehn Schritten deshalb von 0,0 auf 4,5 Prozent angehoben. Inzwischen ist die Inflationsrate in der Euro-Zone gesunken. Im August betrug sie 2,2 Prozent. Die Zentralbanker sahen die Chance, die Zinsen nach dem Juni zum zweiten Mal gefahrlos zu senken, ohne die Inflation anzuheizen.

Wie wirkt die Zinssenkung?

Sinkt der Leitzins, wird es stark vereinfacht, billiger für Banken und Sparkassen, sich Geld bei der Zentralbank zu beschaffen. In der Folge können sie billiger Kredite vergeben oder mehr gewähren. Für die Institute wird es zu dem weniger interessant, Geld bei der EZB zu parken, denn die Zentralbank verzinst es nicht mehr so gut. Das alles bringt mehr Geld in Umlauf. Für Unternehmen verbilligen sich Kredite. Das kann sie bewegen, mehr in neue Anlagen oder Gebäude zu investieren. Auch Verbraucher denken möglicherweise nach, einen Kredit aufzunehmen, um sich etwas zu leisten. Mehr Investitionen und Konsum kommen der Wirtschaft zugute.

Warum handelt die EZB erst jetzt?

Weil die Notenbank die Inflation nur indirekt beeinflussen kann, und der Mechanismus nicht zwingend funktioniert, muss sie auch zahlreiche andere Faktoren im Blick behalten wie die Weltwirtschaftslage oder geopolitische Risiken. Zudem ist die Rate ein Durchschnittswert. Sie berücksichtigt die Preise vieler Produkte, vom Ei über Miete bis zu Strom. Allein der deutsche Warenkorb, über den das Statistische Bundesamt die deutsche Inflation berechnet, enthält rund 700 Produkte. Nicht alle haben das gleiche Gewicht. Ein Plus bei Eiern wird die Inflationsrate kaum beeinflussen, steigende Gaspreise aber schon. Und vor allem Energiepreise schwanken stark, weil hier Politik eine Rolle spielt. Beschließt etwa die Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC), weniger Öl zu fördern, wird Öl deutlich teurer. Ähnliches gilt für Lebensmittelpreise, die zum Beispiel als Folge von Missernten wegen Unwetter steigen können. Deshalb gibt es als genauere Messgröße die sogenannte Kerninflationsrate, die Lebensmittel- und Energiepreise nicht berücksichtigt. Sie lag zuletzt höher als die normale Inflationsrate. Die Notenbanker müssen auch in die nahe Zukunft schauen können und abschätzen, ob die Inflation weiter fallen könnte (dann hätten sie richtig gehandelt) oder wieder steigen könnte (dann wäre eine Zinssenkung gefährlich).

Was bedeutet die Zinssenkung für Sparer?

Für Sparer sind Leitzinssenkungen keine gute Nachricht. Banken werden in der Folge Sparbücher und Tagesgeld geringer verzinsen. Auch wer jetzt einen neuen Festgeldvertrag abschließt, bekommt sehr wahrscheinlich weniger Ertrag. Wer in Aktien oder Aktienfonds investiert hat, kann sich hingegen freuen. Weil Aktien relativ gesehen mehr Ertrag versprechen als zinsabhängige Anlageformen, sind sie gefragter. Der Kurs steigt.

Was bedeutet die Zinssenkung für die, die ein Haus oder eine Wohnung kaufen wollen?

Wer darüber nachdenkt, eine Immobilie zu kaufen, kann sich freuen: Die Kredite dürften billiger werden. Banken bekommen Geld billiger, also können sie es auch billiger weitergeben. Doch das dauert. Banken und Sparkassen sind hier in der Regel weniger schnell, als sie Guthabenzinsen kürzen.

Wie entwickelt sich die Inflationsrate?

Die Zentralbanker glauben, dass sie tendenziell weiter sinkt, auf 1,9 Prozent 2026. Seit Jahresbeginn pendelt sie in der Euro-Zone zwischen 2,2 und 2,9 Prozent. Viele Einflüsse lassen sich aber nicht vorhersehen. Wetter zum Beispiel. Sollte es in diesem Winter sehr kalt werden, könnte es eng werden bei den Gas und Öl. Das würde die Preise für Energie kräftig steigen lassen, was wiederum die Inflationsrate treibt. Ähnlich dürfte es wirken, wenn ein Krieg in Nahost ausbricht, an dem der Iran direkt beteiligt ist. Auch ein Handelsstreit mit China könnte die Preise für viele Waren drastisch ansteigen lassen.