Letzte Ausfahrt Staatsbankrott

Überschuldete Euro-Staaten sollen kontrolliert Pleite machen können. Dieses Notverfahren wird beim Donnerstag beginnenden EU-Gipfel beschlossen, um die internationalen Investoren zu beruhigen. Kann das funktionieren?

Eigentlich ist es eine sinnvolle Idee. Staaten sollen kontrolliert pleite gehen dürfen. Für Bürger und Unternehmen ist das schließlich auch so geregelt: Zahlungsunfähige Schuldner bekommen eine zweite Chance und zahlen nur die Hälfte ihrer Schulden zurück. Die Gläubiger verzichten auf einen Teil ihres Geldes, aber sie wissen: Sie verlieren nicht alles.

So hatten sich das Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble vorgestellt – übertragen auf die Ebene der Staaten. Damit wollten sie die Euro-Krise mildern. Ihre beruhigende Ansage an die internationalen Investoren, Banken und Fonds lautete: Wir tun etwas, damit kein Euro-Staat komplett und unkontrolliert zusammenbricht.

Leider sahen die Investoren das anders. Kränkelnde Euro-Staaten wie Irland, Spanien und Portugal mussten plötzlich horrende Zinsen für ihre Staatsanleihen bieten, damit die Investoren sie überhaupt noch kauften. Die Angst vor dem Staatsbankrott griff erst so richtig um sich. Irland musste sich unter den 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm der EU flüchten. Erst am Mittwoch warf Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn der Bundesregierung vor, die Krise angeheizt zu haben.

Ist dieser Vorwurf plausibel? Der neue Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), den die Regierungen nun beim Gipfel beschließen werden, hat zwei Stufen. Erstens: Gerät ein Land in vorübergehende Zahlungsschwierigkeiten, kann es einen Hilfsantrag bei der Euro-Gruppe stellen. Dann muss die jeweilige Regierung ein Anpassungs- und Sparprogramm zur Schuldenreduzierung durchführen und kann Kredite des ESM erhalten. Als stärkste Wirtschaftsnation Europas steht Deutschland für diese Kredite zu etwa 20 Prozent ein.

Zweitens: Ergibt die ökonomische Analyse der Europäischen Zentralbank und des ESM, dass das Land seine hohen Schulden und Zinszahlungen für Staatsanleihen langfristig nicht bedienen kann, darf es über das Anpassungsprogramm und die ESM-Kredite hinaus mit allen staatlichen und privaten Gläubigern einen Schuldenerlass verhandeln. Diesen kann die Gläubigerversammlung mit Dreiviertel-Mehrheit beschließen.

Das bedeutet: Mancher Investor muss möglicherweise gegen seinen Willen auf 20, 30 oder 50 Prozent des ursprünglichen Wertes der Staatsanleihen verzichten. Konkrete Daten haben die Euro-Finanzminister aber bislang nicht verabredet – auch der Verzicht der privaten Gläubiger soll später von der jeweiligen Situation abhängig sein. Ein vergleichbares Verfahren wendet der Internationale Währungsfonds (IWF) heute schon bei überschuldeten Staaten an.

Für die Bürger und Steuerzahler ist das eine gute Nachricht. Sie haften nur noch zum Teil für die Schulden ihrer Regierungen. Und auch für diese bietet sich ein Ausweg. Im Gegensatz zu heute müssen die Regierungen künftig nicht mehr hunderte Milliarden oder gar Billionen als Rettungspakete auf den Markt werfen, um Spekulationsangriffe gegen den Euro zu verhindern. Stattdessen können sie den Investoren sagen: Wenn ihr die Zinsen weiter hochtreibt, erklären wir die Zahlungsunfähigkeit. Dann müsst ihr auf einen Teil Eures Geldes verzichten.

Diese Ansage gefiel den privaten Investoren nicht. Deswegen stiegen auf dem Höhepunkt der Irland-Krise die Zinsen – die Risikoprämien – für Staatsanleihen massiv an, wodurch sich die Krise abermals verschärfte. Das bedeutet aber nicht, dass die Idee des Umschuldungsmechanismus falsch wäre. Der Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung allerdings war ungünstig.

Im Prinzip, so heißt es im Bundesfinanzministerium, würden auch die privaten Investoren mit dem ESM besser fahren als heute. Schließlich werde durch die rechtzeitige, kontrollierte Umschuldung das Risiko des unkontrollierten Zusammenbruchs eines Staates verhindert. Im Falle eines Staatskollapses, des Bruchs der Euro-Zone und einer gigantischen Wirtschaftskrise wären die Verluste der Privaten viel größer.

Aber es gibt eben auch die Sicht der Investoren, die sich darauf einstellen müssen, dass sie in letzter Konsequenz einen Teil ihres Kapitals verlieren. Heute rechnen sie ja noch damit, dass die Staaten alles bezahlen. Diese Veränderung macht die Käufer von Staatsanleihen misstrauisch. Und dieses Misstrauen könnten die Zinsen europäischer Anleihen weiter in die Höhe treiben.