[Translate to Englisch:] Von Hannes Koch
Es ist nicht die Mannschaft des örtlichen Sportvereins, die hier durch das Industriegebiet joggt. Es sind künftige iPad-Monteure, die in Zweierreihen brav ihrem Vorarbeiter hinterhertraben. Sie sind jung, vielleicht 19 oder 20 Jahre alt. Jeder von ihnen hält in der linken Hand einen braunen Umschlag mit den Bewerbungsunterlagen. Auf das Kommando seines Anführers macht der Trupp eine Kurve und schwenkt ein zur Treppe des Rekrutierungsbüros.
In seinen neuen Fabriken in der chinesischen Stadt Chengdu stellt der Foxconn-Konzern zehntausende Arbeiter ein, um für Apple Millionen iPads zu produzieren. Das Zulieferunternehmen ist bekannt und gefürchtet für seine harten Regeln. Im vergangenen Jahr hat die strenge Disziplin dazu beigetragen, dass 13 Arbeiter im Foxconn-Werk im chinesischen Shenzhen Selbstmord begingen. Der Besuch in den Fabriken soll klären, ob die Firma ihre Beschäftigten jetzt besser behandelt.
„Wir dürfen uns während der Arbeit nicht unterhalten“, sagt die 19jährige Wang Cui (Namen geändert). Die Frau mit den hervortretenden Augen und der dunkeln Haut trägt über ihrer weißen Plastikjacke die blaue Weste mit dem Foxconn-Schriftzug. Ihre langen Fingenägel sind gepflegt, sie arbeitet nicht in der Produktionslinie, sondern kontrolliert die Qualität der iPad-Gehäuse. Ob sie die harten Regeln stören? „Arbeit ist Arbeit, Rest ist Rest“, sagt Wang und zuckt die Schultern.
Mehr als das Sprechverbot allerdings beklagt sie das entwürdigende Verhalten, das manche Vorarbeiter an den Tag legten. „Die Aufseher respektieren die Arbeiter nicht.“ Manche Kollegin sei für einen kleinen Fehler bestraft worden, indem der Vorarbeiter sie zwang, sich gut sich sichtbar für alle zwischen den Produktionslinien aufzustellen – quasi an den Pranger. „Hier herrschen Befehl und Gehorsam“, beschwert sich Wang.
Ihre Kolleginnen nicken. Um den Besucher hat sich inzwischen ein Pulk von Zuhörern gebildet. Zur Mittagszeit strömen tausende Arbeiter aus der Fabrik auf den chaotischen Vorplatz vor dem Werktor. Weil ihnen das Essen in den Werkskantinen nicht schmeckt, holen sie sich Nudeln in Plastikschalen und gedünstetes Gemüse an den Essenständen, die auf Fahrrädern und Motorrädern montiert sind. Durch das Gewühl bahnen sich Schwertransporter unter ohrenbetäubendem Hupen ihren Weg zur Fabrik.
„Ich arbeite von Montag bis Samstag jeweils 12 Stunden“, sagt der 20jährige Arbeiter Zhang Feng, ebenfalls ein Qualitätskontrolleur. Die braungefärbten Haare hat er nach japanischer Mode schräg ins Gesicht gekämmt. In der Arbeitszeit enthalten seien jeweils zwei obligatorische Überstunden. Auch die Samstage zählten als Zusatzarbeit. „Das macht meistens 20 Überstunden pro Woche“, sagt Zhang, „insgesamt 80 im Monat.“
Diese Arbeitszeitregelung ist üblich bei Foxconn in Chengdu. Das chinesische Arbeitsgesetz allerdings erlaubt nur 36 Überstunden pro Monat. „Die Mehrarbeit bei Foxconn überschreitet die gesetzliche Grenze oft um mehr als 100 Prozent“, kritisiert Chan Sze Wan, Mitarbeiterin der Hongkonger Organisation Sacom. Zusammen mit der Kampagne „Make IT Fair“, die von der EU gefördert wird, untersucht Chan regelmäßig die Arbeitsbedingungen bei Foxconn.
Das ist die eine, die verborgene Welt der Apple-Produktion in Chengdu. Der Bau der beiden neuen Fabriken, in denen bereits 100.000 Menschen arbeiten, hat erst im vergangenen Jahr begonnen. Kaum ein Besucher hat bislang seinen Weg dorthin gefunden.
Im 1.500 Kilometer südlich gelegenen Shenzhen bei Hongkong sieht das anders aus. Dort steht das chinesische Hauptwerk des aus Taiwan stammenden Konzerns. In den quadratkilometer großen Fabrikarealen, einer Stadt in der Stadt, arbeiten rund 400.000 Beschäftigte. Um seinen durch die Selbstmord-Serie 2010 ramponierten Ruf aufzubessern, erlaubt die Unternehmensleitung Besuchern im Gegensatz zu früher den Zutritt.
In den hunderte Meter langen, hell erleuchteten Werkhallen stehen Dutzende Produktionslinien nebeneinander. Die Böden sind grau gestrichen und glänzen. Alles ist sehr aufgeräumt, fast steril. Die Arbeiter, die iPhones, MacBooks und andere Produkte fertigen, tragen antistatische Jacken. Auch die Besucher müssen sich Häubchen aufsetzen und ihre Schuhe mit Überziehern schützen, damit sie keinen Dreck hineintragen. Manche Arbeitsschritte sind vollautomatisiert. Viele Beschäftigte verrichten aber mehrere tausend Mal am Tag die gleichen monotonen Handgriffe. Unterhaltungen, die nicht unbedingt notwendig sind, dürfen die Arbeiter auch hier nicht führen. Wenn sie zur Toilette wollen, müssen sie ihren Aufseher fragen.
Die Hauptstraße, die vom Werktor mit Kontrollen und Schranke ins Innere des weitläufigen Areals führt, ist von Palmen und Blumenrabatten gesäumt. Es gibt Banken, Geschäfte, Bibliotheken, Schwimmbäder und Cafés, die guten Espresso servieren. Zum Eindruck einer zivilisierten Industrielandschaft allerdings wollen die Auffangnetze an den Fassaden der höheren Gebäude nicht passen. Sie wurden vor einem Jahr installiert, um weitere Todessprünge von verzweifelten Beschäftigten zu verhindern. Zur gleichen Zeit eröffnete man ein „Care Center“, in dem Berater nun rund um die Uhr für private und berufliche Probleme der Arbeiter zur Verfügung stehen.
„Früher waren wir kein sehr offenes Unternehmen“, sagt Foxconn-Manager Louis Woo, „aber jetzt hören wir unseren Beschäftigten besser zu, was sie vom Leben erwarten.“ Der distinguierte Herr von 63 Jahren trägt kein Jackett, sondern wegen der warmen Temperatur nur Hosenträger. Er holt den Besucher persönlich vom Wagen ab und geleitet ihn in sein karg eingerichtetes Büro.
Er wisse, dass das chinesische Arbeitsgesetz nur 36 Überstunden pro Monat erlaube, sagt Woo. -„Um dieses Ziel einzuhalten, fehlt es uns allerdings an Infrastruktur. Das ist keine Entschuldigung, wir wollen die Regeln nicht brechen. Um sie einzuhalten, bauen wir mehr Fabriken, mehr Wohnheime für die Beschäftigten und stellen mehr Leute ein.“ Mit anderen Worten: Die Nachfrage durch Apple, Nokia, Sony und andere Markenunternehmen ist so groß, dass Foxconn seine vorhandenen Arbeiter einfach über die gesetzliche Grenze hinaus arbeiten lässt.
Diese Geschäftspolitik verstößt auch gegen den Verhaltenskodex, den Apple seinen Produzenten abverlangt. Dort heißt es: „Unter keinen Umständen dürfen die Arbeitszeiten die Grenzen der Gesetze überschreiten.“ Gegenüber SPIEGEL ONLINE äußerte sich Apple-Sprecher Alan Hely nicht konkret zur Frage der Überstunden, sondern verwies auf die Verbesserungen, die Foxconn seit 2010 eingeführt habe.
Info 1: Foxconn, die Firma
Gründer und Chef von Foxconn ist der taiwanesische Unternehmer Terry Gou. Seine Hon Hai-Gruppe, deren Teil Foxconn ist, liefert Mobiltelefone, Smartphones, Computer und andere Produkte für viele Marken-Unternehmen, unter anderem Apple und Nokia. In der Regel tritt das Produktionsunternehmen Foxconn nicht unter eigenem Namen auf. Insgesamt beschäftigt der Konzern rund eine Million Beschäftigte und ist damit einer größten Industriekonzerne der Welt. 2010 erreichte der Umsatz 77,1 Milliarden Euro, der Gewinn 1,8 Milliarden Euro.
(Bitte die Umrechnung checken! Die Sprecherin der Hon Hai-Gruppe hat mir folgende Zahlen geschickt: „2.997 trillion New Taiwan Dollar (consolidated revenue 2010), 77.1 billion NTD (net income 2010)“)
Info 2: Lohn bei Foxconn
Als Reaktion auf die Selbstmorde im vergangenen Jahr hat Foxconn den Mindestlohn nahezu verdoppelt. Arbeiter in Shenzhen erhalten nun eine Basisbezahlung von 1.750 Renmimbi pro Monat. Inklusive Überstunden können sie 2.500 bis 3.000 Rmb monatlich erwirtschaften (259 bis 310 Euro). Bei ca. 240 Arbeitsstunden pro Monat bedeutet das einen Stundenlohn von etwa 1,10 bis 1,30 Euro. Diese Bezahlung reicht auch nach Einschätzung der Kritiker-Organisationen wie „Make IT Fair“ und Sacom aus, den Lebensunterhalt einer einzelnen Person zu decken, der in Shenzhen etwa 2.700 Rmb koste. Sie argumentieren allerdings, schon das Basisentgelt müsse diese Lebenshaltungskosten decken. Wegen des niedrigen Mindestlohns seien die Arbeiter gezwungen, Überstunden zu leisten. In den neuen Fabriken in Chengdu liegen die Verdienste um 20 bis 30 Prozent unter dem Niveau von Shenzhen. Dort würden die Lebenshaltungskosten nicht einmal mit Überstunden erreicht, sagen die Kritiker.
Info 3: Arbeitszeit
In den neuen Foxconn-Fabriken in Chengdu arbeiten die Beschäftigten sechs Tage pro Woche in zwei täglichen Zwölf-Stunden-Schichten. Der Sonntag ist frei. Acht Stunden täglich werden normal bezahlt. Hinzu kommen zwei bezahlte, obligatorische Überstunden und zwei Stunden unbezahlter Pausen. Die bezahlte Arbeitszeit summiert sich damit auf etwa 60 Stunden pro Woche, 240 Stunden monatlich.
Info 4: Die Kritiker
Seit der Selbstmord-Serie 2010 stehen Foxconn und Apple unter verschärfter Beobachtung von Nichtregierungsorganisationen wie Germanwatch in Deutschland, Somo in den Niederlanden und Sacom aus Hong Kong. Die Kampagne „make IT fair“ setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Produktion von iPhones und iPads ein. Am Samstag (7.5.) findet ein weltweiter Aktionstag statt. Die Kritiker rufen die Verbraucher auf, sich in den Geschäften, die Apple-Produkte anbieten, nach den Zuständen bei Foxconn zu erkundigen.
Links
- http://makeitfair.org
- http://www.germanwatch.org
- http://www.sacom.hk