Der sinkende Stern der USA

Washington bittet Peking um Zugeständnisse, um der US-Wirtschaft zu helfen. US-Finanzminister Geithner warnt vor dem Staatsbankrott Amerikas. Wie labil ist die Lage der USA?

Die USA sind wirtschaftlich und politisch angeschlagen. Das kam zum Ausdruck in den Unstimmigkeiten zwischen US-Präsident Barack Obama und Staatspräsident Hu Jintao beim Besuch des Chinesen in Washington am Mittwoch. Zudem hat US-Finanzminister Timothy Geithner unlängst vor dem baldigen Staatsbankrott der USA gewarnt. Steht Amerika vor dem Kollaps? Unsere Zeitung beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie labil ist die Lage der USA?

Die US-Regierung hat im vergangenen Jahr wieder gigantische Kredite aufgenommen. Die Neuverschuldung erreichte etwa 1.400 Milliarden Dollar (1,4 Billionen) – knapp neun Prozent der Wirtschaftsleistung. Die gesamte Staatsschuld liegt bei knapp 100 Prozent der Wirtschaftsleistung der USA eines Jahres (fast 15 Billionen Dollar). Hinzu kommt: Die USA importieren etwa 3,4 Prozent mehr Güter und Dienstleistungen, als sie exportieren. Das heißt: Ihre Verschuldung steigt auch in den kommenden Jahren weiter.

Wem geht es besser – USA oder Griechenland?

Etwas zugespitzt kann man sagen: Dem schwachen Griechenland, das von der EU vor dem Staatsbankrott bewahrt wird, geht es in mancher Hinsicht ähnlich schlecht wie den USA. Das Defizit im Staatshaushalt Athens betrug 2010 knapp zehn Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung (USA: knapp neun Prozent). Griechische Staatsanleihen fassen die internationalen Investoren allerdings nur noch mit spitzen Fingern an, US-amerikanische kaufen sie dagegen gerne.

Warum gilt Amerika als stark?

Einerseits wegen der erstaunlichen Fähigkeit, mit großer Kreativität und Dynamik immer wieder neue Wirtschaftsbooms hervorzubringen. Zweitens sind die USA noch die größte Wirtschaftsmacht der Erde. Kein anderes Land produziert mehr.

Droht Washington der Staatsbankrott?

Nein. Die Drohung von Finanzminister Geithner war im Wesentlichen eine Warnung an die konkurrierende Partei der Republikaner. Deren Zustimmung braucht Geithner, um die Grenze der Staatsverschuldung anzuheben. Das aktuelle Limit beschränkt die Gesamtverschuldung auf 14,3 Billionen Dollar. Die Kontrahenten werden einen Kompromiss finden – vielleicht aber nicht rechtzeitig. Dann kann es passieren, dass die Nationalregierung ihren Angestellten für ein paar Wochen keine Gehälter zahlt.

Wie profitieren die USA vom Dollar?

Die amerikanischen Währung ist nicht nur das Zahlungsmittel der USA, sondern auch die wichtigste Weltwährung. Viele global gehandelte Produkte, beispielsweise Erdöl, werden in Dollar abgerechnet. Außerdem legen China und andere Wirtschaftsmächte einen erheblichen Teil ihrer Kapitalreserven in Dollar an. Der Vorteil für die USA: Sie verschulden sich in Weltwährung. Deshalb stürzt der Dollar trotz der immensen US-Schulden nicht ab. Denn die anderen Staaten halten seinen Wert aufrecht, unter anderem indem sie US-Staatsanleihen kaufen.

Sind die Vereinigten Staaten von China abhängig?

Ja. China kauft in großen Umfang US-Papiere und ist mittlerweile der entscheidende Gläubiger Amerikas. Um die Abhängigkeit zu verringern, fordert Obama seinen chinesischen Kollegen Hu Jintao ständig auf, seine Währung Renmimbi aufzuwerten. Dann würden US-Produkte auf dem Weltmarkt billiger, chinesische hingegen teurer. Die USA würden mehr Geld einnehmen und weniger ausgeben, die US-Verschuldung sänke. China aber wehrt sich gegen die schnelle Aufwertung des Renmimbi und ist nur zur langsamen Anpassung bereit. Die chinesischen Exporte sollen nicht zu schnell teurer werden. Und der Wert des Dollar im Verhältnis zum Renmimbi soll nur allmählich sinken – sonst verlieren die US-Staatspapiere in Chinas Besitz abrupt an Wert.

Nimmt die Gefahr für die USA zu?

Langfristig bleiben die USA nicht Wirtschaftsmacht Nummer Eins. In zehn bis 20 Jahren wird der chinesische Markt größer sein als der amerikanische. Dann verliert auch der Dollar seine Stellung als wichtigste Weltwährung. Ist er überwiegend nur noch eine Nationalwährung, haben die internationalen Investoren weniger Anreize, ihr Kapital in Dollar anzulegen. Die Folge: Die USA werden sich ihre gigantische Verschuldung nicht mehr leisten können. Sie haben weniger Geld zur Verfügung, auch für die weltweite Kriegführung. Mit der Wirtschaftsmacht lässt auch der politische Einfluss nach.