Europa nur mit Hilfe des Volks

Für den Beitritt zu Vereinigten Staaten von Europa bräuchte Deutschland eine neue Verfassung. Ene schnelle Euro-Rettung ist dadurch nicht zu erwarten

In der Diskussion um die Zukunft des Euro wird immer wieder eine politische Vision ins Spiel gebracht, die Vereinigten Staaten von Europa. Dahinter steckt die Idee eines Bundesstaates, bei dem das Europäische Parlament die Rolle des Bundestags übernimmt und die EU-Kommission als vom Parlament gewählte Regierung fungiert. Dann wäre zum Beispiel eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik möglich, die Schuldenländern auf die Finger klopfen kann.

Doch wäre ein europäischer Bundesstaat überhaupt mit dem deutschen Verfassung vereinbar? In Artikel 79 heißt es dort unmissverständlich: „Eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in Artikel 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“ In den beiden so genannten „Ewigkeitsartikeln“ werden einerseits die Menschenrechte festgeschrieben andererseits, dass jede Staatsgewalt vom Volk ausgeht. An diesen Artikeln darf niemand rütteln, selbst ein einstimmiges Votum des Bundestags könnte daran nichts ändern.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum EU-Vertrag von Lissabon klar gestellt, dass Deutschland am Ende immer souverän entscheiden können muss und die Rechte des Bundestags, die wesentlichen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse bestimmt. Diese Vorgabe beschränkt die Abgabe von Kompetenzen an Brüssel so stark, dass ein gemeinsamer Bundesstaat in weite Ferne rückt.

„Das Grundgesetz lässt in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht Vereinigte Staaten von Europa nicht zu“, stellt auch der Staatsrechtler Joachim Wieland von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer fest. Doch das muss nicht für alle Zeiten so bleiben. Denn die Väter des Grundgesetzes haben den Bürger dieses Landes ein Hintertürchen offen gelassen. „Dieses Grundgesetz … verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“, heißt es in Artikel 146.

Damit gibt es durchaus einen Weg zu einer staatlich vereinten EU. Zunächst einmal müsste ein Verfassungskonvent einberufen werden, erläutert Wieland. Regeln gibt es dafür nicht. Naheliegend wäre eine Beteiligung von Bundesrat, Bundestag und gesellschaftlich oder kulturell wichtige Organisationen unter Beteiligung von Experten. Dieser Konvent könnte eine neue Verfassung formulieren. Sie müsste allerdings die Ewigkeitsartikel dem Sinne nach enthalten. Dann muss es nach Einschätzung des Staatsrechtlers eine Volksabstimmung über den Entwurf geben. Der Bundestag dürfe dies nicht in Vertretung der Bürger übernehmen. „In diesem Moment hat das Volk keine Repräsentanten“, begründet Wieland den Zwang zur Volksbefragung. Denn die Legitimation der Vertreter wird ja erst mit der neuen Verfassung geregelt. Das Plebiszit sei beim Grundgesetz 1949 nur deshalb nicht angewendet worden, weil Deutschland unter Besatzung stand. Ansonsten habe immer der Grundsatz gegolten, dass die verfassunggebende Gewalt vom Volk ausgehe.

Auf das Widerstandsrecht gegen eine Beseitigung des Grundgesetzes im Artikel 20 kann sich wohl niemand berufen. Es zählt nach Mehrheitsmeinung der Juristen nicht zu den unveräußerlichen Grundrechten, weil es die Verfassung erst lange nach der Verabschiedung ergänzte und Vereinigte Staaten von Europa vermutlich auch unveräußerliche Grundrechte festschrieben.