Arbeitnehmer lassen sich in Krisenzeiten seltener krankschreiben, weil sie um ihren Job bangen. Sobald es mit der Wirtschaft bergauf geht, wird dann wieder ordentlich krankgefeiert. Das wird zumindest immer wieder behauptet. Ob es wirklich einen Zusammenh
Kunstmann: Stimmt es, dass die Menschen häufiger krank sind, wenn die Konjunktur brummt?
Christine Richter: Das ist eine Mär. Wir führen selbst regelmäßig Untersuchungen zum Krankenstand durch. Die Zahlen geben das nicht her. Es stimmt aber, dass enormer externer Druck gesundheitliche Auswirkungen hat. Wenn zum Beispiel über den Mitarbeitern das Damoklesschwert schwebt und sie wissen, dass ihre Firma demnächst schließt, sie aber noch bis zum Schluss die volle Leistung bringen sollen, kann das psychisch krank machen. In Krisenzeiten denken dazu viele, dass sie am Arbeitsplatz keine Schwäche zeigen dürfen. Sie übernehmen immer mehr Aufgaben, ohne sich Grenzen zu setzen. Hier droht der Burn-out.
Kunstmann: Es wird gesagt, dass Burn-out eher Manager betrifft. Stimmt das?
Richter: Das seelische „Ausgebranntsein“ ist nicht nur ein Managersyndrom. Gerade diejenigen, die bei der Arbeit ständig Druck haben, kaum Anerkennung bekommen und wenig selbst entscheiden können, sind gefährdet. Doch auch Mütter, die Familie und Beruf unter einen Hut bringen müssen und dabei oft an sich selbst zu hohe Anforderungen stellen, können gefährdet sein.
Kunstmann: Wie kann der Einzelne dem Burn-out vorbeugen?
Richter: Ausspannen ist ganz wichtig. Die gesetzlichen Krankenkassen bezuschussen zum Beispiel Kurse in denen die Mitglieder Entspannungstechniken erlernen. Außerdem sind Bewegung und Sport sehr gute Katalysatoren, um den Kopf frei zu bekommen. Wichtig ist, nach der Arbeit „abzuschalten“. Und das gilt im digitalen Zeitalter im wörtlichen Sinne: Zum Beispiel muss das Dienst-Blackberry nach der Arbeit vielleicht nicht unbedingt eingeschaltet bleiben. Mitarbeiter müssen immer mehr Informationen verarbeiten. Das verursacht bei vielen Menschen Stress und kann eben auch im Burn-out enden.
Kunstmann: Woran erkenne ich, dass ich Gefahr laufe am Burn-out zu erkranken?
Richter: Anzeichen können zum Beispiel sein, dass man morgens lustlos zur Arbeit geht, sich nach dem Schlafen wie zerschlagen fühlt oder sich von den Mitmenschen genervt fühlt. Warnsignale sind auch, wenn man sich öfter gereizt und selbst nach einem Urlaub oder Wochenende nicht richtig erholt fühlt. Vorboten der Krankheit sind ebenso häufige Erkältungen oder Magen-, Kopf- oder Rückenschmerzen und Kreislaufprobleme.
Kunstmann: Früher wurden psychische Erkrankungen weit aus seltener diagnostiziert. Schauen die Ärzte heute genauer hin?
Richter: Zum einen tun sie das. Wenn ein Arzt keine körperlichen Ursachen für den hohen Blutdruck oder die Rückenschmerzen finden kann, wird er vielleicht den Patienten nach seinen Problemen im Job oder im Privatleben befragen. Zum andern nehmen psychische Erkrankungen unter Arbeitnehmern zu, weil die Arbeitsdichte ansteigt, dazu kommt oft hoher Termindruck. Aber der Job ist nicht die alleinige Ursache: Nicht ausreichend verarbeitete Schicksalsschläge im persönlichen Bereich können die Seele auch krank machen.
Kunstmann: Sollten sich die Betriebe mehr darum kümmern, dass es ihren Mitarbeitern gut geht?
Richter: Ich sehe die Firmen durchaus in der Führsorgepflicht. Sie sollten ihren Angestellten aktiv helfen, mit dem Stress im Beruf umzugehen.
Kunstmann: Und wie können Betriebe ihre Mitarbeiter dabei unterstützen, mit dem Stress klarzukommen?
Richter: Unternehmen können Führungskräfte im Umgang mit Problemen von Angestellten schulen. Stresssymptome erkennen sie dann leichter und können die Betroffenen direkt darauf ansprechen und ihnen helfen, professionelle Hilfe zu finden. Die Bahn zum Beispiel, unterstützt ihr Personal im Umgang mit extremen Erfahrungen. Ein Lokführer, der in einen Personenunfall verwickelt war, muss diese Erfahrung irgendwie verarbeiten. Sollte sich nach einiger Zeit herausstellen, dass er traumatisiert sein könnte, braucht er hoch spezialisierte professionelle Hilfe. Dafür haben die BAHN-BKK und die Deutsche Bahn ein vorbildliches Ersthelferkonzept und Therapieprojekt entwickelt.
Dies ist nur ein Beispiel von vielen aus der Arbeitswelt.
Bio-Box: Christine Richter (52) ist seit dem 1. Juni 2008 Pressesprecherin des BKK Bundesverbandes. Die diplomierte Juristin und Pädagogin arbeitet bereits seit 17 Jahren für die Betriebskrankenkassen.