Merkels Aufschwung und Risiko

Leitartikel zur Wirtschaftsprognose von Hannes Koch

Als Gerhard Schröder 1998 die Kanzlerschaft errang, reklamierte er den folgenden Wirtschaftsaufschwung flugs für sich. Das war Polemik und hatte mit den Fakten nicht viel zu tun. Heute dagegen könnte Schröder zu Recht sein früheres Mitwirken am aktuellen Boom rühmen. Nicht zuletzt die viel geschmähten Hartz-Reformen waren es, die der deutschen Wirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit verliehen, die sie heute so stark macht. Aber auch die gegenwärtige Bundeskanzlerin hat einen wesentlichen Anteil an der erstaunlichen Erholung der Ökonomie. Hätten ihre Regierungen nicht alle verfügbaren Mittel gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise eingesetzt, sähe die Lage heute schlechter aus.

Merkels Aufschwung also – allerdings ein fragiler. Darauf haben die Wirtschaftsforscher, die ihre Wachstumsprognose für 2010 auf 3,5 Prozent erhöhten, deutlich hingewiesen. Die Institute nehmen an, dass sich die ökonomische Dynamik im kommenden Jahr von der bisher treibenden Kraft des Exportes ins Inland verlagert. Da aber beginnen die Probleme: Kann die Binnenwirtschaft das ersetzen, was die Außennachfrage nach deutschen Produkten nicht mehr leisten wird? Hier sind Zweifel angebracht. Nach einem Jahrzehnt wirtschaftsfreundlicher Politik, der das Interesse der Unternehmen als Leitstern leuchtete, befindet sich die deutsche Wirtschaft in einer Schieflage. Die vordringliche Aufgabe einer klugen Bundesregierung wäre es deshalb, für eine neue Balance zu sorgen und die Binnenwirtschaft zu stärken.

Die Forscher sprechen zwar erstmals seit Jahren von der Möglichkeit eines sich selbst tragenden Aufschwungs. Die Verbraucher geben Geld aus, da sie nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten. Zudem steigen die Löhne mehr als früher. Und selbst FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle plädiert für höhere Gehälter, damit die Beschäftigten an der guten Konjunktur teilhaben.

Das aber reicht nicht. Die Regierung muss Investitionen in Deutschland unterstützen – sowohl private, als auch öffentliche. An beidem mangelt es bislang. Dies bedeutet auch: Die hohe Staatsverschuldung zu verringern, ist zwar wichtig, darf jedoch nicht zum ausschließlichen Mantra der Regierung werden. Um den Städten zu ermöglichen, Schulen, Kindergärten und Straßen zu bauen, sind einige Milliarden Euro mehr pro Jahr notwendig als bisher. Und es könnte ratsam sein, Investitionen der Wirtschaft durch vorübergehende Steueranreize zu fördern.

Ebensowenig sollte die Regierung die Relevanz von Mindestlöhnen vernachlässigen. Damit die Bezahlung der Arbeitnehmer zunimmt und eine ausreichende Binnennachfrage speist, wäre es hilfreich, den Lohnverfall im unteren Segment zu bremsen. Eine Untergrenze für Niedriglöhne stabilisiert die Wirtschaft insgesamt.

Hier freilich sind Grenzen zu erkennen. Zwar lobt die Regierung neuerdings die Binnenökonomie, zu ihrer konsequenten Förderung ist sie jedoch nicht bereit. Selbst bei Branchen, deren Tarifpartner geschlossen für Mindestlöhne plädieren, weigert sich Merkels Koalitionspartner FDP, diese einzuführen.

Merkels Aufschwung ist gleichzeitig Merkels Risiko. Bis zur nächsten Bundestagswahl sind es noch drei Jahre. Sollte die Exportwirtschaft dann lahmen und die Binnenwirtschaft die Ausfälle nicht ersetzen können, hätte die Kanzlerin ein wirkliches Problem – das sich in Gestalt schlechter Umfragewerte bislang nur andeutet.