Hinter Namen verbergen sich manchmal ungeahnte Welten. Lisa etwa. Das spektakuläre Projekt soll Gravitationswellen in den leeren Weiten des Alls messen. Sie liefern womöglich Informationen darüber, wie das Universum entstanden ist. Lisa ist auch ein Beispiel dafür, wie Grundlagenforschung Erfindungsreichtum anstößt und enorme wirtschaftliche Kraft entfaltet.
Zum Beispiel bei Frank Steier. Er arbeitet beim Satellitenbauer OHB. Die Bremer gewannen den Auftrag der Europäischen Raumfahrtagentur Esa für Lisa (Laser Interferometer Space Antenna). Steier wird als Chefingenieur des Projektes die nächsten Jahre mit den Grenzen des technisch Machbaren verbringen. Und damit, zahlreiche Unternehmen aus Europa zu koordinieren.
„Lisa ist tatsächlich das Anspruchsvollste, was man zurzeit in der Raumfahrt bauen kann“, sagt Steier. „Wir sind stolz, dass die Esa uns das zutraut. Damit qualifizieren wir uns für die Spitze der internationalen Raumfahrtindustrie.“ 839 Millionen Euro lässt sich die Raumfahrtagentur die Mission, wie solche Projekte offiziell heißen, kosten, jedenfalls den industriellen Teil. Rakete, Start und Steuerung vom Boden sind nicht inbegriffen. Und auch Teile der Messsysteme liefert die Esa. Die Gesamtkosten knacken die Milliarde Euro.
Grundsätzlich klingt das Projekt einfach. Drei fast identische Satelliten sollen in Form eines gleichschenkligen Dreiecks im All fliegen. Sie sind bestückt mit Messinstrumenten, die die Gravitationswellen erfassen sollen. Die Dimensionen sind allerdings kaum vorstellbar. Die Satelliten sind jeweils 2,5 Millionen Kilometer auseinander und folgen der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne im Abstand von 50 bis 65 Millionen Kilometern. Verbunden sind die Satelliten mit Laserstrahlen. Das präzise Licht transportiert Informationen und ist für die Messung wichtig.
Und hier wird es sehr klein, denn Gravitationswellen durchdringen zwar das ganze Universum, sind aber sehr schwach. „Wir messen Veränderungen von einem Milliardstel Millimeter auf 2,5 Millionen Kilometer Entfernung“, sagt Steier. Entsprechend aufwändig ist das Messinstrument: Zwei Würfel von etwa vier Zentimeter Kantenlänge, die jeweils frei in einer Box schweben und von den Gravitationswellen leicht verschoben werden, was wiederum die Laser erkennen.
Gravitationswellen gehen von sehr schweren Sternen aus, etwa von Doppelsternsystemen aus zwei schwarzen Löchern. Sie brauchen Zeit, bis sie in der Nähe der Erde eintreffen. Das bedeutet: Was jetzt gemessen wird, erlaubt einen Blick zurück. „Wir können über Gravitationswellen in die Geschichte des Universums schauen“, sagt Steier, sogar weiter als mit elektromagnetischen Wellen oder Licht, weil das junge Universum noch nicht durchsichtig war.
Albert Einstein hatte Gravitationswellen 1916 in der allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt. Erstmals gemessen wurden sie 2014 – von der Erde aus. Im All lassen sich die Wellen besser erkennen, weil es weniger Ablenkung gibt. „Das Schwierigste bei diesem sehr anspruchsvollen Projekt ist die Stabilität. Die drei Satelliten müssen sich perfekt ausrichten, hochstabil sein und das Instrument besonders gut abgeschirmt werden, damit kein Magnetfeld oder etwa die eigene Anziehungskraft die Messung stört“, sagt der Chefingenieur.
Die Bremer sind Generalunternehmer von Lisa, arbeiten eng mit Thales Alenia Space Italien als Partner zusammen. OHB koordiniert, vergibt Aufträge und baut die Satelliten auch zusammen. Die eigenen Standorte in Bremen, München und Mailand sind unter anderem zuständig für einen Teil der Plattform, Antrieb, Elektronik und die Kernnutzlast mit den Messystemen. Thales Alenia Space kümmert sich vor allem um das Lagesystem, mit dem die Satelliten sich in Position halten.
Jeder Einzelsatellit ähnelt einem flachen sechseckigen Hut, etwa 1,70 Meter hoch mit fünf Metern Durchmesser. Obendrauf sitzt eine Antenne. Der Boden ist mit Solarzellen bestückt. Die Experten fangen nicht bei Null an, sonst wäre auch der enge Zeitplan nicht einzuhalten. „Die Kerntechnologie ist bereits entwickelt“, sagt Steier. „Vor zehn Jahren hat die Lisa-Pathfinder-Mission gezeigt, dass die Messmethode funktioniert.“
Aufwändig ist Lisa dennoch. „Fast nichts ist von der Stange, rund 80 Prozent der Teile, die wir einbauen, müssen neu entwickelt oder zumindest angepasst werden“, sagt der Chefingenieur. „Wir machen sehr viel zum ersten Mal.“ Steier und sein Team werden in den kommenden Jahren 50 bis 100 Zulieferer aus gut 20 Ländern koordinieren. Bei OHB kümmern sich bis zu 160 Beschäftigte um Lisa.
„Etwa 2028 werden wir zwei Prototypen der Satelliten bauen, die aber noch nicht fliegen werden“, sagt Steier. „Mit einem testen wir, ob er den Start aushalten wird und mit den extremen Temperaturschwankungen im All klarkommt. Beim anderen prüfen wir die Elektronik. Erst wenn wir sicher sind, dass alles funktioniert, bauen wir die Flugmodelle. Das ist für 2031 geplant.“ Der Start ist für 2035 mit einer Ariane 6 vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana vorgesehen.
Die drei Satelliten werden dafür übereinandergestapelt. Sie passen dann gerade in die Transportspitze der Rakete. Hebt die Ariane erfolgreich ab und setzt die Satelliten punktgenau aus, müssen sie noch an die richtige Stelle fliegen, was bis zu zwei Jahren dauern kann. Erste Daten soll Lisa dann 2036 oder 2037 liefern.