Enthüllungen durch Wikileaks: Amazon, Mastercard und andere Konzerne behindern die öffentliche Debatte
Die meisten Unternehmen sind kein Hort der Demokratie. Zwar tun sie gerne so, als handelten sie im Sinne der Bürger und der Kunden. Oft stimmt das aber nicht: Letztlich gehorchen sie den Interessen ihrer Eigentümer, allenfalls noch den im Aufsichtsrat vertretenen Beschäftigten. Das zeigt sich wieder am Beispiel der Repressalien, die jetzt die Internetseite Wikileaks aus dem Netz verbannen sollen.
Unter anderem Amazon hat seine Computer für Wikileaks gesperrt. Mastercard und PayPal haben Überweisungen an die Internet-Plattform eingestellt. Man darf argwöhnen, dass diese Unternehmen zuvor Besuch von der US-Regierung bekamen, die Wikileaks wegen der neuesten Veröffentlichung von einst geheimen Dokumenten bekämpft. Dass die Unternehmen sich gegenüber einer Regierung höchst willfährig verhalten, ist bislang nicht bewiesen, aber eine plausible Vermutung. Auch ist solches Verhalten nicht neu: So hat sich die Suchmaschine Google lange der Verdummungspolitik der chinesischen Regierung gebeugt und regimekritische Informationen wie Artikel über das Massaker von 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens unterdrückt.
Wenn Unternehmen, wie im Falle Wikileaks, aus eigener Machtfülle über die Erreichbarkeit der Bürger im Internet oder die Verfügung über ihre Bankkonto entscheiden, ist eine Grenze überschritten. Dieser Missstand wird nicht dadurch legitimiert, dass sich die US-Regierung und die Unternehmen auf Gummiparagrafen des Strafgesetzes berufen, die die Veröffentlichung von Regierungsdokumenten als Schwerkriminalität definiert.
Denn was hat Wikileaks Schlimmes gemacht? Im Prinzip die Arbeit von Journalisten. Jeder engagierte Redakteur, jede gute Zeitung würde Dokumente verwenden, wie sie Wikileaks veröffentlicht hat. Schließlich geht es um die Kontrolle der Regierungen durch den Souverän, der prinzipiell alles zu wissen darf, was die Spitze des Staates denkt und tut. Natürlich müssen dabei ein paar Bedingungen erfüllt sein: So muss man Informationen über Personen löschen, die angesichts einer Veröffentlichung in Gefahr schwebten. Wäre Wikileaks dazu nicht bereit, ließe sich darüber reden, ein paar Seiten zu sperren. Keinesfalls aber darf die Konsequenz darin bestehen, der unbequemen Internetseite komplett den Garaus zu machen.
Was kann man nun tun? Kurzfristig und praktisch nicht viel. Ein Boykott der Firmen durch die Wirtschaftsbürger hilft nicht, denn die Auswahl der Unternehmen ist eng begrenzt. Eine Variante wäre, das ganz dicke Brett zu bohren. Säßen in den Aufsichtsräten der mächtigen Firmen, die unser aller Leben prägen, nicht nur Vertreter der Eigentümer und der Beschäftigten, sondern auch Bürgerrechtler und Verbraucherschützer, müssten sich die Konzerne mehr an den Interessen der Allgemeinheit orientieren. Aber bis zu dieser Änderung der Unternehmensverfassung ist es ein – optimistisch gesprochen – sehr langer Weg.