Wo wir künftig Urlaub machen

Extremwetter trifft Deutschlands liebste Reiseziele. Alternativen sind rar

Hitzewellen von mehr als 40 Grad in Italien, auf Mallorca und dem spanischen Festland, Waldbrände in Griechenland, Kroatien und Portugal – dieser Sommer bot in vielen klassischen Tourismusregionen nicht gerade das, was sich Urlauber aus Deutschland so wünschen. Der Klimawandel ändert auch das Wetter am Mittelmeer, begünstigt extreme Temperaturen, Dürre. Und das könnte sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Nur, wenn Spanien, der Deutschen liebstes Reiseziel, im Sommer kaum noch erträglich ist, wohin dann reisen? Ist Island gar das neue Mallorca?

Nordeuropa sieht tatsächlich große Chancen. Zum Beispiel die Aland-Inseln zwischen Schweden und Finnland: Sie bieten die meisten Sonnenstunden in Skandinavien, wenn die Tourismusoffiziellen dort recht haben. 6757 größere Inseln, noch einmal etwa 20.000 kleinere sowie Felsen, 30.500 Einwohner, ruhiges Wasser, spektakuläre Sonnenuntergänge. Und natürlich moderate Temperaturen. Oder etwa Achmelvich Beach, ein Strand in Nordwest-Schottland: Hier führt feiner weißer Sand in türkisfarbenes Wasser. Und abends färbt sich der Himmel im Westen glutrot.

Selbst abgelegene Strände auf den Lofoten, einer Inselgruppe vor der norwegischen Westküste und bisher vor allem bei Surfern bekannt, könnten plötzlich im großen Stil Ziel deutscher Touristen werden. Coolcation nennt sich der Trend, eine Zusammensetzung aus den englischen Worten cool für kalt und vacation für Urlaub. Kühl ist es auf den Lofoten auf jeden Fall. Die Inseln liegen nördlich des Polarkreises. Dafür ist es im Sommer rund um die Uhr hell. Liegt hier die Zukunft des deutschen Massenurlaubs? Und wenn ja, wie teuer wird es?

Beim zweitgrößten deutschen Reiseanbieter, Dertour in Köln, sind sie noch zurückhaltend. „Die Buchungen für Reisen in die Nordischen Länder haben zugenommen, dies liegt aber nicht zwingend an den Temperaturveränderungen“, sagt Sven Schikarsky, Produktchef. Man beobachte die Entwicklung und passe das Angebot gegebenenfalls an. Und: „Wir können an den aktuellen Buchungen derzeit keinen Trend zu einem veränderten Reiseverhalten feststellen.“

2023 reisten 4,8 Prozent der Deutschen nach Skandinavien, 2022 waren es 3,9 Prozent, wie die Tourismusanalyse der Stiftung für Zukunftsfragen ergab. An der Spitze: Spanien (9,1 Prozent) und Italien (7,0 Prozent), jeweils mit leichtem Plus. 37,1 Prozent reisten innerhalb Deutschlands, ein leichtes Minus.

Jürgen Schmude ist da klarer. „Coolcation kann man vergessen“, sagt der Professor für Tourismusforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. „Tatsächlich sind die Zahlen für Skandinavien gestiegen, die für Spanien und Italien aber auch“, sagt er. Es gebe immer noch einen kleinen Erholungseffekt nach Corona. „Außerdem wächst der Tourismus weltweit, davon profitieren auch Spanien, Italien und die Türkei.“ Mehr Menschen können sich Urlaub leisten. Und sie konkurrieren mit den Deutschen um die Unterkünfte, was tendenziell steigende Preise bedeutet.

Zudem scheint Hitze viele Menschen im Urlaub doch nicht zu stören. „Wir beobachten sogar, dass teilweise Destinationen mit hohen Temperaturen in der Beliebtheit steigen: So hat sich zum Beispiel Dubai in den letzten Jahren auch als Sommerziel etabliert“, sagt Dertour-Experte Schikarsky. „Dies deutet darauf hin, dass für Reisende vor allem Faktoren wie das Preis-Leistungsverhältnis, Komfort und Service relevant sind.“ Im Wüstenemirat Dubai liegt die Durchschnittstemperatur übers Jahr bei 33 Grad, im Juli und August ist es meist über 40 Grad warm.

Und dann ist da noch etwas, was die Chancen für Nordeuropa deutlich schmälert: „Den skandinavischen Länder fehlt die Infrastruktur, etwa die Übernachtungskapazitäten, um so viele Touristen aufzunehmen wie etwa Spanien“, sagt LMU-Professor Schmude. Das gilt für Island, die Aland-Inseln wie für die Lofoten und auch für Schottland. Der Strand von Achmelvich mag spektakulär sein, aber es gibt nur einen Campingplatz und eine kleine einfache Jugendherberge. Die Anreise vom Flughafen Edinburgh dauert fast fünf Stunden und führt teilweise über einspurige Straßen mit Ausweichstellen.

Große Hotels mit Strandzugang und Pool sind jedenfalls in Nordeuropa sehr selten. Wo aber Hotels, Flughäfen, Leihwagen für große Urlauberzahlen fehlen, herrscht wenig Wettbewerb. Das bedeutet höhere Preise. Tourismusfirmen können deshalb kaum günstige Reisen anbieten. Schon von 2022 auf 2023 stiegen die Ausgaben der Deutschen für einen Urlaub der Tourismusanalyse zufolge im Schnitt um 19 Prozent. In Spanien betrug das Plus sogar 35 Prozent.

Möglicherweise ändert sich aber etwas auf lange Sicht. Zumindest beschäftigen sich Tourismusexperten damit. Harald Zeiss, Direktor des Instituts für Tourismusforschung der Hochschule Harz und früher Topmanager bei TUI, dem größten Reisekonzern Europas, sagt, es gebe noch keine belastbaren Studienergebnisse, wie sich die Touristenströme wegen des Klimawandels in Europa verändern. Man könne nur mutmaßen.

„Plausibel erscheint, dass sich die Erkenntnis durchsetzen wird, dass es vor allem für Familien im Sommer am Mittelmeer zu heiß werden wird. Und die Nutzung des Flugzeugs wird gesellschaftlich auch immer problematischer gesehen“, sagt Zeiss. „Daher könnte ich mir vorstellen, dass Reiseziele rund um Nord- und Ostsee, aber vielleicht auch in den Mittelgebirgen, die ,Gewinner‘ der Klimakrise sein werden.“ Das könnte eine Renaissance von Bayerischem Wald, Fichtelgebirge und Sauerland bedeuten – deutschen Regionen, die vor allem in den Wirtschaftswunderjahren und kurz danach beliebt waren. Und an der deutschen Küste könnte es noch voller werden als ohnehin schon, was ebenfalls auf höhere Preise deutet.

Möglicherweise ändert sich auch, wann die Deutschen in Urlaub fahren. „Ich kann mir vorstellen, dass sich in Deutschland in einigen Jahren die Ferienzeiten ändern: längere Pfingst- und Herbstferien, kürzere Sommerferien“, sagt Tourismusprofessor Schmude von der LMU. „Dann können die, die die Hitze nicht so mögen, in kühleren Zeiten Urlaub machen.“ Bisher zeichnet sich das nicht ab, Ferien sind Ländersache, die Kultusministerkonferenz legt sie Jahre im Voraus fest.

Der Trend lässt sich aber jetzt schon erahnen. „Viele Urlauber sind an Ferienzeiten wie Sommerferien gebunden. Daher wird sich die Hauptreisezeit nicht verändern“, sagt Dertour-Spezialist Schikarsky. „Dennoch werden für Familien die Herbstferien als Reisezeit zunehmend relevanter.“ Auch seien die Randzeiten und die Nebensaisons schon jetzt sehr beliebt bei allen, die ihre Urlaube unabhängig von Ferienzeiten planen könnten. „Viele Ferienregionen werben konkret mit der Nebensaison, so zum Beispiel Mallorca für den Winter.

„Spanien und Italien sind seit langer Zeit auf den ersten Plätzen. Daran haben alle Krisen der vergangenen Jahrzehnte nichts geändert. Das wird auch in Zukunft so bleiben“, sagt LMU-Professor Schmude. Eher ändert sich das Verhalten der Urlauber. „Ziele, an denen es heißer ist, bereiten die Urlauber heute schon vor, raten dazu, in der Mittagshitze Siesta zu machen. Solche Hinweise werden zunehmen.“ Es wird sich also doch etwas ändern, doch nicht so schnell, wie Schmude sagt: „Das dauert sehr lange, ist wie der Klimawandel ein schleichender Prozess.“